Nach Wochen der Ungewissheit ist es dank Grenzöffnungen und Lockerungen nun doch möglich, ein wenig Vitamin-Sea im Ausland zu tanken. Während sich Unannehmlichkeiten vor der Reise einerseits mit gewissen Vorkehrungen wie einer Reiseversicherung gut vermeiden lassen, sind andere Komponenten derzeit ungewiss. Besonders bei Flugreisen können kurzfristig Umbuchungen oder Stornierungen anfallen. Welche Rechte der Fluggast besitzt und wie Airlines Erstattungen hinauszögern, verrät Flightright-Jurist Oskar de Felice im Interview.
Redaktion: Herr de Felice, wie hat Flightright die Corona-Krise wahrgenommen? Wonach richten sich derzeit vermehrt Anfragen?
Oskar de Felice: Vor der Corona-Krise war unser Kerngeschäft die Durchsetzung von Entschädigungsforderungen für ausgefallene oder verspätete Flüge. Da der internationale Personenflugverkehr ab März fast vollständig zum Erliegen kam, ist dieser Service weniger gefragt als sonst. Denn: Fällt ein Flug aus Gründen aus, die die Fluggesellschaft nicht verantwortet hat – wie im Fall Corona – muss diese keine Entschädigung zahlen. Passagieren steht aber weiterhin die Rückzahlung der Ticketkosten zu. Die allermeisten Airlines haben diese Tatsache jedoch schlicht ignoriert. Wir haben schnell gemerkt, dass Reisende einen extrem hohen Bedarf an Unterstützung haben. Im April startete daher unser neuer Service zur Ticketkostenerstattung. Mittlerweile haben uns schon mehr als 50.000 Anfragen erreicht.
Redaktion: Gibt es Klagegründe, die sich derzeit häufen?
Oskar de Felice: Die meisten Anfragen erhalten wir aktuell von Passagieren, deren Flüge wegen der Corona-Pandemie ausgefallen sind und die zum Teil Monate auf ihre Rückzahlung warten, denen die Airlines nur Gutscheine angeboten haben oder die mit ihrer Forderung ignoriert wurden. Es erreichen uns aber auch vermehrt Fälle, in denen Flüge ausgefallen sind, weil sie nicht ausgebucht waren. Je nachdem, wie weit im Voraus der Flug annulliert wird, kann betroffenen Reisenden zusätzlich zur Ticketpreiserstattung auch eine Entschädigung zustehen. Gleiches gilt für kurzfristige Umbuchungen. Diese sehen wir aktuell auf dem Vormarsch. Die Wiederaufnahme des Flugverkehrs führt zu vielen Planungsunsicherheiten und damit zu Flugverschiebungen. Hier wissen viele Reisende einfach nicht, dass eine Umbuchung ab etwa fünf Stunden wie eine Stornierung zu werten ist und nicht einfach hingenommen werden muss.
Redaktion: Und ab wann hat der Passagier die Möglichkeit zu klagen?
Oskar de Felice: Zuerst ist zu sagen, dass Klagen immer nur der letzte Ausweg sein sollten. Leider müssen wir gegen besonders sture Airlines den Klageweg einschlagen. Wenn ein Flug ausfällt, keine Ersatzbeförderung oder Umbuchung angeboten wird oder Reisende diese nicht nutzen wollen, müssen sie den Ticketpreis innerhalb von sieben Tagen zurückbekommen. Das regelt die EU-Fluggastrechte-Verordnung. Warum der Flug ausfällt, spielt für die Ticketerstattung anders als bei Entschädigungen keine Rolle. Wir versuchen zunächst immer die Ansprüche unserer Kunden außergerichtlich durchzusetzen. Ein großer Vorteil der EU Fluggastrechte-Verordnung ist im Übrigen auch, dass man sowohl am Abflugs- als auch am Ankunftsort klagen kann. Dies ermöglicht es uns den besten Gerichtsstandort für die Durchsetzung zu wählen.
Redaktion: Wie teuer kommen der Fluglinie die Erstattungen? Gibt es ein „Klagelimit“?
Oskar de Felice: Allgemeine Schätzungen gehen davon aus, dass Airlines in Zusammenhang mit der Corona-Krise insgesamt Ticketerstattungen in Milliardenhöhe zahlen müssen. Juristisch ist die Lage eindeutig: Passagiere müssen keine Gutscheine akzeptieren und haben Anspruch auf Erstattung – auch, wenn der Flug wegen Corona ausgefallen ist. Klagen auf Ticketerstattungen sind daher eigentlich unnötig. Nach unserer Einschätzung wollen Airlines Erstattungszahlungen oft so weit wie möglich hinauszögern und Gerichtsverfahren dauern nun mal ihre Zeit. Nachvollziehbar ist das Verhalten der Fluggesellschaften aus meiner Sicht nicht. Zusätzlich zum Ticketpreis müssen sie die Verfahrenskosten tragen – und damit ein Vielfaches des Ticketpreises. Eine Mindestklagesumme gibt es nicht. Bis zu einem Streitwert von 500 Euro sind die Gerichtskosten immer gleich. Bei einem neun Euro Billigticket kann es also passieren, dass die Fluggesellschaft das 40-fache der ursprünglichen Forderung zahlen muss.
Redaktion: Gibt es skurrile Anfragen, die möglicherweise ungewöhnlich aber dennoch berechtigt sind?
Oskar de Felice: Es soll schon vorgekommen sein, dass Passagiere nicht nur für sich, sondern auch für ihre Haustiere eine Entschädigung gefordert und sogar vor Gericht Recht bekommen haben. Bei Flightright haben wir aber bislang ausschließlich menschlichen Fluggästen juristisch geholfen. In zehn Jahren Flightright gab es dennoch einige kuriose Fälle. So wurde beispielsweise ein Flug aufgrund einer Population geschützter Karettschildkröten auf dem Rollfeld verschoben. Absurd mutet auch an, dass sich ab und an Würmer und Insekten in die Geschwindigkeitsmessinstrumente der Flugzeuge einnisten und dadurch den Start verhindern.
Redaktion: Sicherheitsrelevante Probleme sind also von einer Erstattung ausgeschlossen. Welchen anderen Irrtümern unterliegen Passagiere hinsichtlich des Fluggastrechts häufig?
Oskar de Felice: Oft verwechseln Passagiere Entschädigung und Erstattung. Eine Entschädigung ist eine Ausgleichszahlung für die Unannehmlichkeiten, die Flugausfälle oder eine große Verspätungen nach sich ziehen. Damit Anspruch auf Entschädigung besteht, muss die Airline das Flugproblem selbst verschuldet haben. Auch ist die Höhe der Entschädigung völlig unabhängig vom Ticketpreis und beträgt grundsätzlich zwischen 250 und 600 Euro pro Fluggast. Kosten für Sitzplatzreservierungen und Gepäck gehören übrigens zum Ticketpreis und müssen mit erstattet werden. Entschädigungsanspruch hat immer der Fluggast selbst – egal ob als Urlauber oder Geschäftsreisender. Ticketerstattungen gehen an denjenigen, der das Ticket bezahlt hat. Auch, dass Reisende Umbuchungen und erhebliche Flugzeitänderungen nicht hinnehmen müssen, ist vielen nicht bewusst.
Redaktion: Wie stehen Sie – in Hinblick auf Diskussionen über eine Quarantänepflicht für Rückreisende und steigende Fallzahlen – zu derzeitigen Urlaubsreisen? Sollte man überhaupt Reisen für die nächsten sechs Monate buchen?
Oskar de Felice: Die Lage ist nach wie vor dynamisch. Denn auch wenn viele Airlines wieder mehr Flüge anbieten, sind Annullierungen nicht auszuschließen. Zum Beispiel, wenn es kurzfristig wieder Reisebeschränkungen gibt oder Flüge wegen zu geringer Auslastung abgesagt werden. Auf der sicheren Seite sind Urlauber wohl am ehesten, wenn sie eine Pauschalreise buchen. Bei Reisebeschränkungen erhalten sie dann nämlich den kompletten Reisepreis zurück. Wer Flug und Hotel separat bucht, läuft hingegen Gefahr auf einem Teil der Kosten sitzenzubleiben.
Redaktion: Und was raten Sie Businessreisenden für die nächsten Monate?
Oskar de Felice: Planungssicherheit gibt es auch für Geschäftsreisen nicht. Ich rechne damit, dass es noch eine Weile dauern wird, bis die Flugpläne wieder verhältnismäßig zuverlässig eingehalten werden. Für Inlandsflüge sollte die Lage im Vergleich zu internationalen Flügen aber stabiler sein. Vielleicht sollte man dennoch lieber die Bahn wählen oder Termine online abhalten. Und auch für Geschäftsreisende gilt: Bei Flugausfall unbedingt prüfen lassen, ob eine Entschädigung oder Erstattung möglich ist. Sofern im Arbeitsvertrag oder der Reiserichtlinie nichts anderes festgehalten ist, steht die Entschädigung dem Fluggast und nicht der Firma zu.
Oskar de Felice hat Rechtswissenschaften an den Universitäten Konstanz und Frankfurt (Oder) studiert. Er ist Rechtsexperte und Head of Legal Product bei Flightright. Das Portal unterstützt Passagiere bei Flugproblemen uns setzt für sie Entschädigungsforderungen und Ticketerstattungen durch. |
Titelbild: © Flightright