„HIV ist mit vielen Mythen verbunden“

Eine aktuelle Studie der Deutschen Aidshilfe zeigt: Ein gutes Leben mit HIV ist medizinisch möglich – doch der gesellschaftliche Umgang mit den Betroffenen hinkt noch hinterher.

HIV-positive Menschen können ein ganz normales Leben führen

Gib AIDS keine Chance“ lautete jahrzehntelang der Slogan der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. AIDS („Acquired Immune Deficiency Syndrome oder „Erworbenes Abwehrschwäche-Syndrom“) ist das Endstadium der Erkrankung, die durch eine Infektion mit dem HI-Virus („Humanes Immundefizienz-Virus) ausgelöst wird. 

HIV kann – meist über einen längeren Zeitraum unbemerkt – das Immunsystem schädigen, bis der Betroffene gegen lebensbedrohliche Erkrankungen wie eine Lungenentzündung oder Krebs machtlos ist. Berühmte Persönlichkeiten wie Freddie Mercury, Rock Hudson und Keith Haring sind an AIDS gestorben. Heutzutage bedeutet eine HIV-Infektion dank medizinischer Fortschritte allerdings kein Todesurteil mehr, wenn sie rechtzeitig diagnostiziert wird.

Eine Übertragung kann durch den Austausch von Körperflüssigkeiten wie Blut oder Geschlechtsflüssigkeiten erfolgen. Zu den häufigsten Übertragungswegen gehört dabei ungeschützter Geschlechtsverkehr oder die Verwendung verunreinigter Spritzen. Bei einer erfolgreichen HIV-Therapie können die Medikamente jedoch das Virus im Körper unterdrücken. HIV ist dann auch beim Sex nicht mehr übertragbar. So können HIV-positive Menschen ein ganz normales Leben führen.

Durch Vorurteile in ihrem Leben beeinträchtigt

„Menschen mit einer HIV-Infektion können arbeiten, ihre Freizeit gestalten, Partnerschaften führen, Sexualität leben und eine Familie haben wie andere Menschen auch, sagt Holger Wicht von der Deutschen Aidshilfe im Interview.

Die Deutsche Aidshilfe (DAH) und das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) haben dazu auch eine aktuelle Studie veröffentlicht. 500 Menschen mit HIV gaben dabei Auskunft zu ihrem Leben mit HIV. Und fast 1.000 HIV-positive Menschen füllten darüber hinaus dazu einen Online-Fragebogen aus.

90 Prozent gaben dabei an, in Deutschland gut mit ihrer HIV-Infektion leben zu können. Etwa 75 Prozent fühlen sich dank der guten Therapie gesundheitlich nicht oder nur wenig eingeschränkt. 

Allerdings berichten auch 95 Prozent, dass sie mindestens eine diskriminierende Erfahrung in den letzten 12 Monaten aufgrund von HIV machen mussten. 52 Prozent sagten aus, durch Vorurteile bezüglich der HIV-Infektion in ihrem Leben beeinträchtigt zu sein.

„Wir brauchen weiterhin Aufklärung der Bevölkerung“

„Unsere Untersuchung zeigt klar, dass HIV in unserer Gesellschaft weiterhin mit einem Stigma verbunden ist. Wir brauchen weiterhin Aufklärung der Bevölkerung zu den positiven Folgen der HIV-Therapie sowie eine mediale Verbreitung vorurteilsfreier Erzählungen vom Leben mit HIV, betont Dr. Janine Dieckmann, wissenschaftliche Projektleiterin beim IDZ.

Trotz aller medizinischen Fortschritte sei HIV immer noch mit vielen Mythen verbunden, die zu einer Diskriminierung im Alltag führen, berichtet Holger Wicht. Das beginne mit Berührungsängsten im Alltag. „Zum Beispiel haben nicht wenige Menschen immer noch Ängste, dasselbe Geschirr oder dieselbe Toilette zu nutzen wie jemand, der HIV-positiv ist. Dabei ist eine HIV-Übertragung im Alltag völlig unmöglich.“ 

Außerdem würden Arbeitgeber manchmal davon ausgehen, dass Menschen mit HIV nicht so leistungsfähig seien. „Dazu kommen dann noch Vorurteile, Zurück- und Schuldzuweisungen nach dem Motto: Wenn jemand HIV hat, hat dieser Mensch etwas falsch gemacht oder sogar falsch gelebt, so Wicht.

HIV-Infizierte und das Gesundheitswesen

Auch im Gesundheitswesen sind HIV-Infizierte mit Diskriminierung konfrontiert. „Davon berichten 60 Prozent der befragten HIV-positiven Personen in unserer Studie. Zum Beispiel wurden sie in Zahnarztpraxen zurückgewiesen oder es wurden ihre Patientenakten markiert – eine Datenschutzverletzung., erklärt Wicht.

Auch das Abschließen von Versicherungen ist für HIV-Infizierte sehr schwer. Dort zeichne sich aber langsam ein Wandel ab, so Wicht: „Zum Beispiel war es früher für Menschen mit HIV unmöglich, eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine Lebensversicherung abzuschließen. Letztere können HIV-Positive heutzutage bekommen – meist allerdings zu schlechteren Konditionen. “Ein BU-Abschluss ist für sie aber immer noch fast ausgeschlossen. Wicht hofft, dass diese Diskriminierung bei Versicherungen bald aufhört, „da Menschen mit HIV ja durch eine optimale Therapie heute ein ganz normales Leben führen können.

Probleme gibt es auch bei private Krankenversicherungen. Dort bekommen HIV-Positive, wie andere chronisch Kranke auch, nur den teuren Basistarif. „Das kann ein großes Problem sein, wenn die GKV ihnen nicht offensteht.” 

Die neue Gemeinschaftskampagne „Leben mit HIV. Anders als du denkst.“ zum Weltaidstag konzentriert sich aus diesen Gründen darauf, zu zeigen, dass die Diskriminierung HIV-positiver Menschen das Leben oft  unnötig schwer macht. Holger Wicht empfiehlt allen Menschen, sich ausgiebig über HIV zu informieren – und sich bei Bedarf testen zu lassen. „In Deutschland sind nach wie vor tausende Menschen mit HIV infiziert, ohne es zu wissen. Sie laufen ohne die passende Therapie Gefahr, krank zu werden. Außerdem bleibt HIV ohne Therapie übertragbar.“

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